How-To: Bewerbung Zweitstudium Medizin (nach Informatik)
Vor einem Jahr habe ich beschlossen, mich für ein Zweitstudium in der Medizin in Deutschland zu bewerben. Ahnungslos stand ich damals vor einem Berg an Begriffen wie Messzahl, Begründungsschreiben und Zweitstudienquote und hätte mir gewünscht, ein konkretes Beispiel einer erfolgreichen Bewerbung zu sehen. Nun studiere ich im 2. Semester Medizin an der LMU und hoffe, dieser Artikel hilft späteren Bewerbern:)
Mein Hintergrund
Ich habe 2016–2020 meinen Informatik-Bachelor mit Anwendungsfach Medizin an der TUM absolviert (kann ich jedem empfehlen, der Interesse in beiden Fächer hat!). Anschließend habe ich meinen Master in der Informatik mit Spezialisierung “Digital Biology and Medicine” begonnen, in dessen letzten Zügen ich mich derzeit befinde. Insofern habe ich also schon während des Erststudiums relevante Erfahrungen für die medizinische Bewerbung sammeln können. Es wird sich herausstellen, dass das ein wertvoller Faktor sein wird.
Zweitstudienquote
Hat man in Deutschland bereits einen (Universitäts-)Abschluss, gilt man für hochschulstart, und damit für die Bewerbung zum Medizinstudium als Zweitstudierender (dies ist insbesondere bereits nach einem Bachelor der Fall, auch wenn man einen konsekutiven Master anschließt). Das heißt, man bewirbt sich nicht wie die Meisten mit der Abiturnote und dem TMS, sondern über ein bestimmtes Verfahren. Es wird nur eine bestimmte Anzahl der Studienplätze für Zweitstudierende freigegeben: 3%. Insofern ist der Konkurrenzkampf natürlich stark und ich würde aufgrund dessen dazu raten, nicht dein Leben für diese Bewerbung zu pausieren, sondern eher noch einen Plan B zu haben, sollte es dieses Mal nicht reichen.
Messzahl
Für eine Bewerbung als Zweitstudierender sind zwei Dinge wichtig: die Abschlussnote des abgeschlossenen Erststudiums sowie die Begründung. In beiden “Teilen” sammelt man Punkte, und anhand dieser Messzahl wird dann, wie bei den Erststudierenden auch, sortiert und nach einer bestimmten Anzahl an Zulassungen abgeschnitten. Auf der hochschulstart-Seite findet man dementsprechend auch für Zweitstudierende die Messzahl des zuletzt zugelassenen Bewerbers — bei mir waren es für die LMU damals 11 Punkte. Das heißt allerdings nicht, dass man mit 11 Punkten sicher ist — sondern nur, dass mindestens eine Person mit 11 Punkten noch zugelassen werden konnte.
Die Messzahl wird folgendermaßen berechnet:
Zunächst gibt es wenige Punkte für Härtefälle, hierzu habe ich persönlich leider nicht viele Informationen, außer, dass es selten angerechnet wird.
Für die Abschlussnote gibt es 1/2/3/4 Punkte: 4 Punkte für eine gerundete 1, 3 Punkte für eine gerunde 2 etc. (die genauen Verteilungen findet man auch auf hochschulstart). Das Begründungsschreiben ist insofern also ziemlich entscheidend für deine Bewerbung.
Begründungsschreiben
Deine Begründung wird bei einem Gutachter eingereicht, und dann mit Punkten bewertet. Sie erfolgt formlos und es gibt aufgrund der riesigen Variabilität der Bewerbungen auch kein festes Punkteschema, welches man einsehen könnte. Für das Begründungsschreiben gibt es zwei Wege, die man gehen kann:
Berufliche Gründe
Ein Schreiben über berufliche Gründe wird direkt bei hochschulstart eingereicht und bewertet. Diese Kategorie sollte man wählen, wenn man glaubhaft machen kann, dass das Studium in der Medizin für einen gewünschten Beruf unabdingbar ist. Ein beliebtes Beispiel ist Kieferchirurg, wo man sowohl Zahnmedizin als auch Medizin studiert haben MUSS. Es gibt, je nach Stärke des Arguments, 1/4/7/9 Punkte, wobei angemerkt werden muss, das selbst die 7 Punkte selten vergeben werden (und 4 Punkte reichen in den meisten Fällen nicht für eine Zulassung):
Einerseits muss man einen solchen Beruf erst einmal finden, der explizit ein Medizinstudium und dein Erststudium verlangen, und dann muss man glaubhaft machen können, dass man sich bereits auf dem Weg dorthin befindet.
Ich kann nur empfehlen, sich stattdessen die wissenschaftlichen Gründe anzugucken:
Wissenschaftliche Gründe
Hier kann man 7/9/11 Punkte bekommen, wenn man glaubhaft machen kann, dass man in irgendeiner Form wissenschaftlich tätig ist und später sein wird. Das Schreiben reichst du bei der Universität ein, bei der du dich bewirbst — der Gutachter wird von der Universität gestellt und die Punkte gelten für deine Bewerbung dort. Mein eigenes Schreiben habe ich in dieser Kategorie verfasst und ich musste an der LMU neben dem formlosen Schreiben noch ein zusätzliches Blatt von hochschulstart ausfüllen, auf dem ich deklariere, dass ich gerne ein wissenschaftliches Gutachten hätte.
Im Begründungsschreiben sollte inbesondere vorkommen, inwiefern du bisher schon wissenschaftlich tätig warst und inwiefern ein Medizinstudium dein Forschungsvorhaben sinnvoll und essentiell ergänzt. Hilfreich ist beispielsweise, wenn man konkrete Probleme oder Projekte nennen kann, wo ein interdisziplinärer Forscher, wie du es sein wirst, nötig wären. In meinem Fall konnte ich gut eine Brücke zwischen meinem bisherigen Studium, der Lücke zwischen Medizin und Informatik, und der daraus folgenden Begründung meines Medizinstudium-Vorhabens schlagen und mit relevanten Job-Aussschreibungen und einem Zitat belegen.
Für Neugierige, hier ist mein Begründungsschreiben: https://drive.google.com/file/d/1s0GCqNuzMk9ImmbI9so8IHPS6kd8Aenr/view?usp=sharing
Anfangs war ich verunsichert, mich in dieser Kategorie zu bewerben, weil ich dachte, dass nur promovierte Studierende mit Publikationen Chancen auf Punkte haben. Ich kann jetzt schlussfolgern, dass auch jemand mit “nur” einem Bachelor ohne Publikationen Punkte bekommen kann.
Zulassung, Immatrikulation und Studium
Ich bewarb mich also mit 3 Punkten für meinen Bachelor-Abschluss und einem wissenschaftlichen Schreiben für das Medizin-Studium an der LMU bei hochschulstart. Nach der Bewerbung im Frühjahr/Sommer 2021 verdrängte ich einige Monate die ausstehende Entscheidung und studierte fröhlich weiter Informatik, mit der Annahme, dass im August eine Ablehnung folgen wird. Insofern war die Überraschung groß, als am ersten Zulassungstag direkt eine E-Mail kam: “Zulassung liegt vor”. Eine so frühe Zulassung (also ohne Nachrücker und ohne Losverfahren) hatte also zu bedeuten, dass meine Begründung für die 9 Punkte gereicht haben musste.
Ich nahm schnell den Platz an, immatrikulierte mich und freute mich darauf, im Herbst zum dritten Male ein Erstsemester zu sein. Über das Doppelstudium Medizin und Informatik kann man einen eigenen Bericht schreiben, aber alles in Allem lässt sich sagen, dass alles machbar ist, wenn man genug mit Menschen redet und ein gutes Gespür für Zeitmanagement mitbringt.
Konkrete Tipps
- Bewirb dich für wissenschaftliche Gründe, wenn du auch nur einen Hauch an wissenschaftlichen Projekten hattest. Berufliche Gründe sind echt schwer:(
- Hänge relevante Projektberichte im Schreiben an. Das gibt dem Gutachter die Chance, deine wissenschaftliche Erfahrung einzuschätzen -> gibt dem Gutachter alle Gründe die du kannst, dir Punkte zu geben.
- Sei konkret: Warum musst ausgerechnet du mit deinem Background Medizin studieren? Welche konkreten Forschungsbilder verfolgst du? Welche konkreten Kenntnisse hoffst du, später nutzen zu können? Gutachter sehen es nicht gerne, wenn man nur Gründe wie “ich will Menschen helfen” nennt.
- Falls du vorhast, dich erst in einigen Jahren zu bewerben, versuche, wissenschaftliche Projekte im Erststudium zu “ergattern”, und insbesondere mit Doktoranden/Professoren in Kontakt zu treten, die ein gutes Wort einlegen können.
- Organisiere das Studium so, dass du im Falle einer Zulassung rein theoretisch annehmen kannst. In meinem Fall habe ich z.B. meine Masterarbeit vorgezogen, da ich meine restlichen Master-Vorlesungen irgendwie nebenbei noch unter einen Hut bekomme, aber eine Masterarbeit sicher nicht. Und: rede frühzeitig mit dem Studiendekanat des Medizinstudiums — das Studium besteht fast ausschließlich aus Präsenzveranstaltungen mit Anwesenheitskontrolle, was sehr viel Zeit und Flexibilität kostet. Ich durfte mich aufgrund des Doppelstudiums also aus 1–2 Veranstaltungen abmelden lassen und im Folgejahr nachholen.
- Das Zweitstudienbewerber-Forum (https://www.medi-learn.de/foren/forumdisplay.php?323-Zweitstudien-Bewerber) ist sehr hilfreich für konkrete Fragen;)
Ich hoffe, dieser Artikel hilft dir bei deiner Bewerbung und solltest du Fragen haben, zögere bitte nicht, mich zu kontaktieren.
Nachtrag, April 2024
Inzwischen sind (teilweise über diesen Artikel und das oben genannte Schreiben) bereits 5 Kommilitonen von denen ich weiß mit gleichem Werdegang ins Studium gekommen. Also nicht verzagen, es ist auf jeden Fall im Rahmen des Möglichen;)
